Es wird „Ernst“

Ein Sommer ohne Blog liegt hinter mir und ich will gar nicht erst versuchen, diese Lücke zu stopfen. Es war eine lebendige, intensive, meistens sehr glückliche Zeit und mir fehlte schlicht die Ruhe zum Schreiben.

Aber hier sind wir nun wieder; und ich stelle uns ganz kurz vor: der Mann (32), Ana (3), Elle (8 Monate), Ernst (26, Wohnmobil) und ich (29).

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Nach drei Jahren auf einem Campingplatz in der Schweiz haben wir unseren stationären Wohnwagen verkauft. Nach langer Suche fanden wir ein neues Zuhause und verwandelten es in unseren Ernst.

Seit dem 13. November sind wir auf Reise; eine Reise mit unbestimmtem Ziel und für unbestimmte Zeit.

Die Tage vor dem Aufbruch waren sehr angespannt und stressig, die Liste in meinem Kopf lang und die Aufregung von allen gross. Ana verkündete mehrmals täglich, dass sie nicht mit auf Reise wolle, was vorhandene Zweifel schürte. Die Nächte waren kurz, entweder weil ein Zahn von Elle drückte, was für mich Dauerstillen bedeutete, oder weil meine Gedanken Purzelbäume schlugen. Die Tage waren kurz, da wir Ernst reisebereit machen mussten. Der Winter holte uns ein und wir merkten, dass wir den richtigen Zeitpunkt für den Aufbruch verpasst hatten. Die Stimmung im Allgemeinen war also eher bescheiden, aber auch voll von diesem speziellen Zauber, den grosse Veränderungen mit sich bringen.

Unsere Reise begann dort, wo das alte Leben endete – auf „unserem“ Campingplatz. Wir hatten Tag der offenen Wohnmobiltür und zeitgleich öffnete der Himmel seine Pforten. Trotzdem fanden viele Menschen den Weg zu uns und feierten mit uns ein Aufwiedersehensfest. Wunderschön dank all den warmen Herzen, die uns Heimat bedeuten.

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Die erste Nacht im Ernst war ruhig, alle schliefen einen tiefen Erschöpfungsschlaf und am Morgen tuckerten wir unsicher los. Mit jedem Meter wurden wir leichter, mit jedem Meter verschwanden Ängste und Zweifel und machten Entdeckungsfreude und einem neuen Gefühl von Freiheit Platz.

Ernst pflügte sich seinen Weg ins Wallis, wo wir von Freunden für einen letzten Abend in der Schweiz empfangen wurden. Die Fahrt an sich war ereignislos, nur an Ernst`s Geschwindigkeitsverweigerung mussten wir uns noch gewöhnen. Alle LKW`s rauschten an uns vorbei, und bei jeder Steigung wippte der Mann auf dem Fahrersitz vor und zurück, so als wolle er mitschieben.  Ernst erreichte Tiefstgeschwindigkeiten von 50km/h auf der Autobahn. Ich überlegte laut, ob wir zur Sicherheit den Warnblinker einschalten sollten, worauf der Mann laut aufstöhnte, noch mehr wippte und zu schwitzen begann.

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Einen Geschwindigkeitsrausch erlebten wir unverhofft am nächsten Morgen auf dem Autoverlad durch den Simplon. Kaum waren wir im schmalen, dunklen Tunnel verschwunden, gab die Lokomotive Vollgas. Ana und ich kicherten aufgeregt. Ernst zitterte, schlotterte und vibrierte, der Wind pfiff durch alle Ritzen. Uns war nur zu sehr bewusst, dass er nicht für solche Geschwindigkeiten konzipiert ist. Elle weinte, der Mann hüpfte wie ein Wiesel im Aufbau herum und fand schliesslich Ruhe darin, eine Dachluke zu „sichern“, indem er sich daran hängte. Ich hielt zwei ängstliche Kinder im Arm und verspürte grosse Erleichterung, als das Ende des Tunnels in Sicht kam.

„Bella Italia“  – da waren wir also. Das TomTom zeigte knappe drei Stunden bis zum Zielort an, wir fuhren beherzt voran. Nach einer Stunde zeigte es immer noch knappe drei Stunden an und uns schwante, dass es wohl nicht mit ernst`schen Geschwindigkeiten rechnete. Die Laster zogen von dannen, wir winkten ihnen nach, Elle war irgendwann auch ausgeschlafen und ich war damit beschäftigt, zwei Kinder irgendwie bei Laune zu halten. Pausen auf windigen, kinderunfreudlichen Raststätten halfen nicht viel. Irgendwann sahen wir das Meer, ich freute mich allein. Die Stimmung war hinüber, so dass ich  tief in die Trickkiste greifen musste und in regelmässigen Abständen Süssigkeiten und Muttermilch verteilte. Irgendwann bemerkte der Mann, dass er  die Ausfahrt verpasst hatte, was eine zusätzliche halbe Stunde bedeutete. Das Desaster nahm seinen Lauf…

Bei der Zahlstelle frass der Automat unsere Münzen nicht, die Kolonne hinter uns wurde schnell lang, vereinzeltes Hupen. Wir mühten uns ab, fluchten. Elle schrie in ihrem Sitz wie am Spiess, Ana bombardierte uns  mit hundert Fragen. Die Wartenden verloren die Nerven und hielten die Hupen durchgedrückt. Wir wurden schier wahnsinnig bis sich diese verflixte Barriere endlich öffnete und wir mit durchgedrücktem Gaspedal und zurückgelassenem Wechselgeld von dannen stotterten. Beim ersten Kreisel erwischten wir prompt die falsche Ausfahrt und fanden uns in überfüllten, engen Gassen einer Kleinstadt wieder. Chaos, unzählige Roller, Rotlichter und Menschen. Elle schrie noch immer, der Mann und ich wechselten entsetze Blicke und beschlossen in Sekundenschnelle, gerade aus ans Meer zu fahren und den Ernst dann für heute (und die nächsten Wochen) keinen Meter mehr zu bewegen. Nach vielleicht 500m bremste der Mann abrupt und schrie laut ein unschönes Wort. Vor uns eine Unterführung, daneben ein Schild: 2.80 Meter. Der Mann fuhr halb auf den Gehsteig, stellte den Motor ab und wir sassen erstmals einfach in Stockstarre da. Elle schrie noch immer oder schon wieder. Ich befreite sie endlich aus ihrem Sitz, stieg aus und schaute mich um. Der Mann sass noch immer bewegungslos. Passanten guckten mitleidig und schüttelten den Kopf. Nein, da gab es kein Durchkommen. Und auch kein Wenden. Es blieb nichts anderes übrig, als rückwärts auf eine stark befahrene Kreuzung zu fahren. Mir wurde übel; vom Mann will ich gar nicht erst sprechen.

Nach einem Moment wüsten Gebells sprang ich auf die Kreuzung und stoppte den Verkehr. Also nicht dass ich glaubte, ihn stoppen zu können, doch wundersamerweise hielten augenblicklich alle still. Nicht einmal ein Roller sauste an uns vorbei. Und keiner hupte. Der Ernst schoss retour auf die Kreuzung und konnte endlich wenden. Ich schaute mich um, blickte in lauter lächelnde Gesichter. Arme hoben sich und winkten. Ich war tief verwirrt. Bis ich Elle registrierte, die auf meinem Arm die Party ihres Lebens feierte, wie wild hüpfte, mit den Ärmchen fuchtelte und weltmeisterlich in alle Richtungen ihr zweizähniges Lachen verschenkte.

Sie hat die Sache für uns geritzt.

6 Gedanken zu “Es wird „Ernst“

  1. 😂😂😂😂😂mir hei sooo müesse lache ou wes sicher nid ging isch luschtig gsi..aber das amene Sunntigmorge ds läse..eifach luschtig. Mir wünsche öich aus Guete u nume schöni Abentür..härzlechi Umarmig Barbara u Grotschi🙋🍀🍀🍀😘😘😍

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  2. Zum Glück 🍀 isch aues guet verbi gange. Mir chöi drüber lache und dir ou drüber schmunzle. Witerhin vieu Glück und gueti Fahrt mit em ‚Ernesto‘ 🍀🍀🍀toi toi toi 🍀🍀🍀

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  3. Ja, ja die Italiener und bambini, das ist Liebe auf den ersten Blick!
    Weiterhin ein gute Reise, möglichst viel Sonne, guten Wind, gutes Essen und so weiter und so fort.

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