Der wilde Süden

Ich komme nicht mit auf die Reise, ich bleibe lieber in der Schweiz und esse Schnee. (Ana (3), kurz vor Abreise)

Als wir anfangs Dezember in Sizilien einfielen, war T-Shirt Wetter, Baderatten wie Ana und der Mann warfen sich sogar noch in die Fluten. Kitesurfen im Neopren ohne Schuhe, Mütze oder ähnliches war auch für Warmduscher wie mich möglich. Als mich unsere Freundin fragte, was sie denn für Kleider für ihren einwöchigen Besuch einpacken sollte, schrieb ich, was wir lebten: T- Shirt tagsüber, morgens und abends eine leichte Jacke oder Pullover.

Als die Freundin ankam, sah der Wetterstaus eher so aus: Pullover tagsüber, morgens und abends eine dickere Jacke. Die Freundin trug also gezwungenermassen eine Woche lang dieselben Kleider; mir wars ein wenig peinlich.

Als wir die Freundin am Flughafen verabschiedeten, Wetterstatus: dicke Jacke, Mütze und Handschuhe. 

Und auch in meinem Herzen herrschte für einen Moment ein wenig Herbst, gerne hätten wir die Freundin noch ein wenig länger bei uns behalten. Die Tage mit ihr waren eine grosse Bereicherung für uns.

Einen Tag vor Silvester heizten wir gerade den Ernst ein, als ein sehr lauter Knall ertönte. Aus unserer Heizung strömte Rauch. Der Mann schrie: „Gas aus, sofort!“ Ich packte reflexartig beide Kinder und rannte mit ihnen nach draussen, das Herz klopfte bis zum Hals. Der Mann öffnete erst mal alle Fenster, damit er irgendwas sehen konnte und spielte Feuerwehrmann. Wenig später gab er stolz, mit einem Feuerlöscher in der Hand, Entwarnung. Zu meinen Füssen lagen metallene Teile unserer Heizung. Kurz dachte ich noch an meine Schwiegermutter, welche der Freundin anstelle von Adaptern für die italienischen Gasflaschen irgendwelche künstlerischen Messingstücke mitgab und somit am Ursprung der Explosion stand. Zum Glück hatten wir uns über Neujahr ein Zimmer in einem B&B reserviert. So liessen wir den Ernst erstmals Ernst sein und bezogen ein warmes Zimmer in einem Haus, dessen grösstes Glück für uns die Bekanntschaft eines deutschen Paars mit Kleinkind beinhaltete.

Pläne, Sizilien bis im Frühling den Rücken zu kehren, konkretisierten sich während der Nordwind unerbittlich weiter blies. Wir verbrachten einen lustig, geselligen Silvesterabend, verschliefen zum ersten Mal seit wir Eltern sind den Jahreswechsel nicht und buchten am zweiten Neujahrstag sehr aufgeregt Flüge nach Sri Lanka.

Bald mussten wir uns von unserer neuen Bekanntschaft verabschieden, da sie weiter in den Süden Siziliens`s reisten, hätten wir nicht einen baldigen, ziemlich ungeplanten Abflug vor uns gehabt, wären wir mit ihnen mitgereist. Denn wir hätten gerne noch viel Zeit zusammen verbracht. schienen zueinander zu passen, ein bisschen wie die Sonne zum Süden – so schien es uns.

Für uns gab es nun einiges zu organisieren: Heizung flicken lassen, einen Koffer kaufen, ein sicheres Plätzchen für Ernst finden, den riesigen Wäscheberg bekämpfen und weitere kleine Reisevorbereitungen zu treffen.

Alles lief wie am Schnürchen, nur meine Zweifel, ob so eine weite Reise, besonders mit Elle, wirklich eine gute Idee sei, nagten an mir. Dann änderte der Wetterstatus erneut und lautete folgendermassen: Skianzug.

Meine Zweifel erfroren.

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Niemand freute sich über die weissen, dicken Flocken – nicht einmal Ana. Ausserdem funktionierte unsere Heizung zwar wieder, lief jedoch nur bis Stufe 3 von 10.

Ab Stufe 4 gab es neuerlich kleine Explosionen. Der Heizungshersteller Truma nennt Explosionen übrigens Verpuffung. Das klingt fürs Ohr einfach niedlicher. Dies wissen wir, da wir  Rat bei Truma Deutschland suchten, nachdem die Vertretung in Palermo den zwar ausgesprochen lieben Eindruck aber den eines Bastelkurses für Dummies hinterlassen hatte. Truma Deutschland schrieb uns eine Antwort, die das niedliche  Wort „Verpuffung“ enthielt aber den Titel „Achtung  Lebensgefahr“ trug. Zudem erklärte uns Truma welche möglichen Fehler wir abklären müssen um am Leben zu bleiben. Vielen Dank dafür. 

Warm war also anders und dies bei Temperaturen unter null Grad. Wir suchten Zuflucht auf einem der wenigen offenen Campingplätze, um notdürftig mit einem elektrischen Heizkörper nachzuhelfen. Ana wurde als erste krank, zwei Tage später hatte es uns alle erwischt. Vier kranke Menschen in einem Wohnmobil erwies sich als eher unlustig, von kollektivem Familienkranksein sei sowieso abgeraten. Diese Tage waren unendlich lang, die Nächte noch länger. Der Süden hatte irgendwann etwas erbarmen, liess das Schneegestöber sein und das Thermometer wanderte wieder auf satte 7 Grad. Wir konnten genesen.

Hier würde ich nun gerne meine Erzählung beenden, vielleicht noch etwas von gemütlichen, letzten Tagen säuseln. Aber die Geschichte geht weiter. Mittlerweile ist es so, dass ich mir wünschen würde, die Realität wäre ein bisschen langweiliger. Nicht stinklangweilig, sondern gespickt mit interessanten Geschichten, die ich dann nach Herzenslust ausschmücken könnte. Doch die Realität übertrifft  zur Zeit meine Fantasie haushoch.

Drei Tage vor Abflug und zwei Tage, bevor wir den Ernst auf seinen sicheren Abstellplatz bringen sollten, wollte sich der Mann nochmals ein Bad in der Herkules-Therme gönnen.  Fanden wir alle eine gute Idee, auch den Vorschlag, gleich dort zu übernachten, stiess auf grosse Zustimmung. Dazu wollten wir nicht wie zuvor den Ernst oben an der Hauptstrasse abstellen, sondern den etwas schmalen, etwas steilen aber asphaltierten Weg runter zum Parkplatz fahren. Oberhalb des Weges packten den Mann Zweifel und da ich nicht zweimal denselben Fehler machen wollte, gab ich nicht die mutige Beifahrerin, sondern nahm seine Zweifel ernst. Was ihn dazu veranlasste, sie nicht mehr ernst zu nehmen. Schon fuhren wir den Hang hinunter. Es war wirklich kein grosses Ding, Ernst hatte schon ganz anderes geschafft, es schaukelte nicht einmal sehr. Unten angekommen, belächelten wir unsere anfängliche Unsicherheit  und wir sagten Dinge wie „Ha, null Problem war das, sowas von einfach“ -. Es war Mittagszeit und alle hungrig, also kochten wir. Beim Essen fielen die ersten Regentropfen. Mich beschlich ein doofes Gefühl. Der Parkplatz war naturbelassen und der Weg nach oben zwar grösstenteils asphaltiert, aber eben nur grösstenteils. Ich sagte zum Mann, dass wir vielleicht doch besser wieder hoch fahren sollen, bevor der Regen stärker wird und fügte lachend hinzu, dass es ziemlich unpraktisch wäre, hier festzustecken, drei Tage vor Abflug. Herkules wollte nun aber unbedingt in seine Therme hüpfen, stufte den Regen als unbedenklich ein. Wir zogen uns alle zum Baden um. Plötzlich tauchte des Mannes Gesicht recht unruhig vor mir auf. Draussen hatten Autos etwas Mühe die Strasse rauf zu kommen, die Räder drehten auf der glitschig gewordenen Strasse durch. Einer kam rückwärts den Hang wieder runter. Ich konnte hören, wie mir mein Herz in die Hose rutschte. Eilig verstauten wir alles, gurteten die Kinder an und fuhren gegen den Hang an.

Natürlich kamen wir nicht hoch. Nach dem fünften gescheiterten Versuch gaben wir auf. Niemand brüllte, niemand warf irgendwas durch die Gegend – im Ernst breitete sich eine bedrohliche Stille aus. Mir wurde übel, so übel, dass ich glaubte, mich nächstens übergeben zu müssen. Es regnete nun in Strömen, wir sahen zu, wie ein Auto nach dem anderen den Hang hoch fuhr und verschwand, bis wir schlussendlich ganz alleine waren.

Eine Vielzahl unschöner Gefühle suchte uns heim, wir beschlossen erstmals baden zu gehen.

Es war wunderbar im warmen Wasser zu liegen, während der Regen überall kleine Wassersäulen zauberte. Wir entspannten uns, klare Gedanken waren wieder möglich. Erstmals hiess es einfach abwarten, bis der Regen aufhörte und die Strasse trocknen konnte. Mit dem Eindunkeln kehrten wir zum Ernst zurück. Ana und der Mann wollten mit der Taschenlampe nochmals baden gehen. Es regnete in Strömen, mein Blick kreuzte sich mit dem eines Strassenhundes. Ich brachte es nicht übers Herz ihn draussen zu lassen. Ana vergass ob dem Besuch das Baden völlig. So blieben wir im Ernst und tauften unseren Besuch auf den Namen Biancaneve. Sie frass die Hälfte unsere Abendessens, rollte sich danach vor der Heizung zusammen, seufzte wohlig und schlief ein.

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Zu später Stunde tranken wir Gin, tranken uns Mut an und übten die Flucht schon mal im Trockenen. Leicht angetrunken begaben wir uns schlafen, schliefen dennoch nicht sehr gut. Es regnete die ganze Nacht. Nach Tagesanbruch wollten der Mann und Ana ihr Nachtbad nachholen. Nach wenigen Sekunden hielt der Mann wieder den Kopf zur Tür herein. „Wir haben einen Platten“. Ich lachte über den gelungenen Witz. Der Mann lachte kein bisschen

Ana ging alleine baden.

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Der Mann wechselte das Rad.

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Bis zum Mittag warteten wir, dann riss der Geduldsfaden, wir wagten bei zumindest angetrocknetem Boden einen neuen Versuch. Während der Motor aufwärmte liessen wir alles Wasser aus den Tanks, um noch etwas an Gewicht zu verlieren.

Wie am Vorabend beim Gin geübt, rasten wir alsbald auf den Hang zu. Der erste Versuch missglückte erneut, auf halber Strecke blieben wir hilflos stecken. Unsere Herzen schlugen mit dem Takt des Motors um die Wette, meine Übelkeit kehrte zurück. Wir setzten zurück, nahmen nocheinmal Anlauf und gaben Vollgas. Der Ernst quälte sich mit heulendem Motor die Strasse rauf. Wir hatten Tunnelblick, hörten kaum mehr, sahen nur noch die paar Meter vor uns. Wir waren schneller als beim letzten Versuch. Jetzt kam die steilste Passage, die Räder drehten durch. Der Motor brüllte. Wir verloren an Geschwindigkeit.  Meine Hände krallten sich ins Polster. Ein Moment atemloser Stille… Wir waren oben, tatsächlich, wir hatten es geschafft. Einmal mehr verspürte ich das schrullige Bedürfnis, den Ernst zu umarmen.

Wir kamen einmal mehr mit einem blauen Auge beziehungsweise einer langen Gummispur auf dem Asphalt davon.

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Zurück in der Zivilisation war der Koffer schnell gepackt. Ein Koffer a 20kg für die ganze Familie, da kann das Packen nicht dauern, weil es schlicht fast nichts zu packen gibt. Wir übertreffen uns gerade selber mit minimalistischem Gepäck, noch klopfe ich uns auf die Schulter.

Wir freuen uns auf das exotische Land Sri Lanka, gehen aber nicht nur gerne. Es ist das Wetter, dass uns treibt, die Kälte, die uns schickt. Ansonsten wären wir nicht auf die Idee gekommen, diese schöne Insel mit ihren tollen Menschen und den Ernst zu verlassen. Es ist ein Abschied auf Zeit – wir freuen uns bereits auf den Frühling hier. Und in der Zwischenzeit geniessen wir unsere Ferien von den Ferien.

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3 Gedanken zu “Der wilde Süden

  1. Ich „Ernst“ bin sehr dankbar für die Ruhepause die ich redlich verdient habe. Schön, dass ich in meinem Pensionsalter einige Tage zur Erholung habe. Natürlich freue ich mich wenn meine Besitzer bald wieder gesund zurück kommen. Auch ich wünsche euch einen sonnigen und erlebnisreichen Aufenthalt in Sri Lanka. Es Grüsst Ernst und Erika.

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  2. Kaum zu glauben, bin grad zurück aus Sri Lanka, wo ich drei wunderbare Wochen verbrachte!! Freunde und Bekannte besuchte sowie rumgereist bin. Das Kulturelle Dreiecke sowie die Berge haben mir viele schöne Erlebnisse ermöglicht. Die Fröhlichkeit der Leute, die Buntheit und Farbenvielfalt, die vielen feinen Früchte, und und und alle Momente habe ich genossen.
    Das wäre ja was gewesen, wenn wir uns da getroffen hätten…
    Wir wünschen Euch weiterhin schöne Reise und viele schöne Erlebnisse, spannende Begegnungen und einfach eine glückliche Zeit. Ursula und Bruno

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