Ernste Probleme

In die zweite Woche starteten wir im schönen Ort Terraccina. Wir hatten einen ruhigen Schlafplatz direkt am Meer. Dass alle Campingplätze geschlossen waren, störte nicht. Es war ruhig und friedvoll.

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Bis dorthin hatten wir unsere Route im Vorfeld geplant – ab da begann eine kleine Odyssee. Aber würde alles immer wie am Schnürchen laufen, wären das ja wohl nicht wir. Unser Ziel war es, Neapel zu umfahren und dann irgendwo an der Küste einen Campingplatz zu finden. Das klappte gut, wir fanden auf Anhieb einen Campingplatz, ein bisschen heruntergekommen aber durchaus sympathisch. Wir waren allein bis auf die Betreiber und ein paar unbewohnte, schiefe und vom Wetter gezeichnete Wohnwagen. Direkt am Meer, am richtigen Meer. Am Meer das nichts mit den Bildern aus dem Katalog zu tun haben scheint. Ein Meer, das nicht nach Salz und Fisch riecht sondern zum Himmel stinkt. Nach Ankunft reichte es nur noch für eine kurze Spielrunde am Strand im Müll. Wir beschlossen trotzdem eine weitere Nacht anzuhängen, da ein bisschen Haushalten und einige kleine Reparaturen im Innenraum nötig waren.

Beim morgendlichen Strandspaziergang wurde ich ziemlich laut. Wir stapften durch Müll – Flaschen, Schuhe, Verpackungen, Textilien und Plastik in allen Formen und Farben. Ich machte meiner Empörung Luft,  und sammelte zeitgleich Strandspielzeug. Nach keinen zehn Minuten waren unsere Hände voll, wir konnten nichts mehr tragen. Der Mann versuchte das alles zu ignorieren, doch es gelang nicht recht. Ana musste gar nicht versuchen, etwas zu ignorieren, ausser vielleicht mich, sie störte sich an der Umgebung nicht und war, wie so oft, ganz in ihre Spielwelt versunken.

Wir fühlten uns an einen Endzeit Film erinnert. Am Strand keine Menschenseele ausser uns, den letzten Überlebenden. Wir liefen weiter an verlassenen Freizeitanlagen vorbei, spielten auf einem toten Spielplatz. Noch eine Anlage weiter und dann kehrten wir um.

Zurück auf dem Camping waren wir ernüchtert. Wir richteten uns häuslich ein, legten eine Decke an den Boden, assen zu Mittag. Es stellte sich wieder dieses Ferien-Wohlgefühl ein. Alles passte und bis hierhin lief alles gut. Nur raus aus dem Camping mochten wir eigentlich nicht mehr.

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Am Nachmittag beschloss der Mann eine kleine Fahrradtour zu machen. Hier sein Bericht:

Ana wird langsam unruhig. Wir satteln also das Fahrrad und machen eine kleine Tour. Papa-Tochter Ausflug. Ausserdem will ich uns ein Restaurant suchen für den Abend. Elle schläft und meine Frau bloggt mal wieder. Los gehts. Wir fahren dem Strand entlang. Bauruinen und Müll geben sich die Klinke in die Hand. Ich beschließe ins Hinterland zu fahren. Auf Feldwegen fahren wir an Gewächshäusern vorbei. Dicht an dicht sind sie gedrängt. Der Boden grün, der Himmel ein Meer aus weissbraunem Plastikfolienguss. Wir halten an und ich will Ana erklären was in diesen grossen Anlagen gemacht wird. Ein Auto hält neben uns, wir werden verscheucht. Also zurück an die Strandpromenade der Hölle. Ana ruft mir zu „Papa ich möchte einen Autounfall sehen, bitte bitte.“ Ich denke mir das dies super zu der Stimmung hier passen würde, sage ihr aber, dass Autounfälle schlimm sind und das dabei Menschen verletzt werden. 

Auf einem Spielplatz hängen Araber und Schwarzafrikaner schön getrennt auf Bänken rum. Sie wirken nicht gerade fröhlich. Wir fahren weiter, der Müll wird schlimmer, ich fahre nun nicht mehr auf Asphalt sondern auf Karton und Glas und Plastik. Bei einer weiteren Ruine ist an der Strasse ein Grill eingesteckt. Darin gut beleuchtet 12 Hühner am Spiess, 4 davon gegrillt und 8 weiss. Die Hühner scheinen schon Wochen darin zu hängen. Ich habe genug gesehen, wir fahren zurück. Ich fühle mich an den Film Reikajvik erinnert „Der einzige Grund hier zu leben, ist hier geboren zu sein“. Die Ausbeutung von Mensch und Natur wird dort augenscheinlich, wo sich der Wohlfühl-Schleier des Kapitalismus hebt und seine hässlich Fratze zeigt. Ganz im Gegensatz zu einem Fluss dessen Wasser an der Quelle am reinsten ist. 

Gegen Abend war alles für die Weiterfahrt bereit, nur ein kurzer Blick unter die Motorhaube fand der Mann nach über 1`000 Kilometer notwendig, ich hätte es sein lassen. Schliesslich war der Ernst vor Abreise im grossen Service und frisch geprüft. Er verschwand draussen und kehrte eine kleine Ewigkeit nicht mehr zurück. Fand ich jetzt nicht weiter ungewöhnlich, auch die gelegentlichen Schimpfwörter verunsicherten mich nicht. Irgendwann stand er mit ölverschmiertem Gesicht vor mir, ich kicherte.

Er: „Da ist überall ziemlich viel Öl“.

Ich: „Jaja, der Ernst ist alt, da ist das wohl so.“

Er: „Und ich kann den Ölstand nicht messen, es zeigt nicht an.“

Ich, ganz Frau: „Also ehrlich, dass ist doch nicht schwer – ich mach das.“

Ich also raus, Ölstand gemessen, nochmals Ölstand gemessen und noch einmal. Merkwürdig, dass da nur Geschmier aber keine klare Linie war. Der Mann triumphierte und faselte etwas von Turbo kaputt, kein Öl mehr und Werkstatt. Das fand ich nun doch überrissen. Vor allem wollte ich weiter, weg von diesem Ort und zwar morgen.

Ich: „Also wir füllen jetzt einfach Öl nach, fahren morgen weiter und schauen mal.“ Verächtliches Schnauben, trotziges Stampfen . „Wir fahren höchstens in die Werkstatt, Weib!“

Sein Wille geschehe.

Der nächste Morgen brachte nichts Gutes. Drei Köpfe steckten in Ernst`s Motorhaube, italienische Sätze, Zigarettenqualm und etwas Grimmigkeit flogen uns um die Ohren. Wobei sich die Grimmigkeit sofort in wildgestikulierende Kinderbegeisterung verwandelte, als Elle und Ana erblickt wurden.

Es stellte sich heraus, das der Turbo kaputt war, alles Öl ausgelaufen ist und dass, weil Freitag war, wir den Ernst erst am Montag bringen konnten und die Reparatur zwei Tage dauern würde. Das bedeutete sechs Tage warten. Meine Dankbarkeit für den Mann überwog dem Frust, knapp, aber dennoch.

Es folgten lange, lange Tage die wir mit stoischer Gelassenheit über uns ergehen liessen. Wir füllten sie mit Spielen, Strand und Fahrradtouren.

Einer von uns war immer motiviert und angetrieben, doch noch einen schönen Ort zu finden, der andere fuhr, das wiederholte Scheitern vor Augen, ergeben hinterher. Die Ausflüge endeten stehts im traurigen, erschöpften Umkehren, irgendwo zwischen Abfall, Ruinen, Wracks, ausgebrannten Menschen, zusammengeschusterten Behausungen, weinenden Kleinkindern, Gestank und einem Gefühl tiefer Hoffnungslosigkeit.

Ernst und der Camping waren uns Insel und Verschnaufpause vor dem Weltschmerz, der uns immer wieder aufs Neue überrollte. Wir rückten nahe zusammen, mit geschärftem Bewusstsein für all das, was wir haben, nebst uns. Wir sprachen viel, der Mann und ich, denn es gab viel zu sagen. Es gibt viel zu sagen. Und noch mehr zu tun.

Ana schien ziemlich unbeeindruckt von der ungewohnten Umgebung; sie nahm es einfach so, wie es war und war vorwiegend auf uns und ihre Rollenspiele fixiert. Nur einmal, als wir einkaufen gingen, lag ein sehr mitgenommener Strassenhund auf dem Parkplatz. Ana blieb augenblicklich ganz ernst vor ihm stehen und fragte uns, was er da mache und wo seine Besitzer seien. Wir erklärten ihr, dass das ein Hund ohne Zuhause sei. Sie wurde ganz still, dachte lange nach und stellte während des Einkaufens viele Fragen. Sie übernahm dann auch gerne die Aufgabe, Würstchen für ihn zu kaufen. Draussen rannte sie sofort zu der Stelle, wo der Hund lag und als sie sah, dass er nicht mehr dort war, rief sie mit ihrer hellen Stimme voller Freude: „Schau Mama, er ist weg. Du hattest doch nicht Recht, zum Glück, das ist gar kein Strassenhund, der hat ein Zuhause und eine Familie.“ Ihre Erleichterung war so riesig, überwältigend ehrlich und aus tiefstem Herzen, dass sie für einen Augenblick auch auf mich überschwappte und ich bereit war, dies zu glauben.

Im nächsten Moment sahen wir ihn hinter einer Mauer liegen -. Und Ana sah mit ihren drei Jahren der Realität ins Gesicht. Das Füttern von Würstchen tröstete uns alle nur bedingt.

Und wenn ich Ana nun nach ihren Weihnachtswünschen frage, so antwortet sie: „Das meine Grosseltern uns besuchen kommen. Und einen Hund. Einen Hund, damit wir seine Familie sein können.“

 

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