Wenn nicht nur Turbo drauf steht, sondern auch Turbo drin ist

Der Tag der uns Ernst zurück brachte, brachte ausserdem einen üblen Nordwind, der die Temperaturen um zehn Grad sinken liess. Nüchtern, da die gemietete Behausung zwar über eine Küche, jedoch weder über Kochutensilien noch Gas noch Wasser verfügte – strampelten wir mit unseren Fahrrädern gegen den Wind an. Er peitschte uns acht lange Kilometer eiskalt ins Gesicht und einige Böen liessen uns rückwärts rollen. Ana liess vergnügt die Ohren ihres Kuscheltiers im Wind flattern, Elle schaute grimmig und der Mann und ich witzelten schreiend gegen den Wind an, dass wir uns ein Fortkommen von diesem Ort schwer verdienen müssen.

Der Automechaniker Giovanni begrüsste uns herzlich. Ernst stand mit laufendem Motor draussen und ich widerstand nur knapp dem Impuls, mich für Umarmung auf seine Motorhaube zu werfen. Ich tätschelte also nur beiläufig seine Aussenhaut, Ana tanzte einen Freudentanz. Nachdem wir die Rechnung beglichen hatten, (einen Betrag, für den in der Schweiz ein Mechaniker nicht einmal die Motorhaube öffnen würde) und Ana eine ganze Tüte Bonbons geschenkt bekam, setzten wir uns selig in den durch und durch nach Zuhause riechenden Ernst, kochten Kaffee und Frühstückten.

Und danach nahmen wir die Flucht auf. Wir fuhren über Landstrassen und freuten uns über die völlig neuen Energieschübe des Ernsts. Endlich kam die Autobahn, erwartungsvoll gab der Mann Gas. Unsere Körper wurden in die Sitze gedrückt, wir flogen über den Asphalt und liessen die LKW`s hilflos in unseren Abgasen zurück. Wir jubelten, klatschten uns ab, johlten, brüllten und verpassten ob diesem ganzen Tumult und der beachtlichen Geschwindigkeit die richtige Auffahrt. Man wird zu trägen Lenkern, hat man sich erst einmal an die 50 Km/h gewöhnt. So fuhren wir nochmals zwanzig Minuten zurück an unseren persönlichen Ort des Schreckens, bevor wir endlich wenden konnten und uns endgültig aus seinen Klauen befreiten.

Geplant war der nächste Stopp in Scalea, wo wir uns den Schmutz der üblen Behausung vom Körper waschen wollten. Doch der Mann und der Ernst genossen die neugewonnene Potenz, fuhren an all den geöffneten Campingtoren vorbei, bis sie weit hinter uns lagen. Das war ein Fehler, wie sich später herausstellte, denn ab da fanden wir kein offenes Tor mehr. Und nur weil im Internet steht, dass ein Platz offen ist, heisst das nicht, dass er tatsächlich geöffnet hat.

Wir nahmen es gelassen, standen immer wild, zogen die Mützen tief über die fettigen Haare. Ignorierten den  gigantischen Wäscheberg, der seit Florenz unaufhörlich wuchs und schon lange aus dem dafür vorgesehenen Schrank quoll, ignorierten all die Essenspuren von Elle, den ganzen Sand und Dreck.

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Ignorierten die volle Toilette, (was etwas schwierig war, da wir dank übelster Pizza vom Ort des Schreckens alle mit därmlichen Problemen zu kämpfen hatten), den leeren Frischwassertank und all die anderen Anfängerfehler über die der eingefleischte Wohnmobilist nur müde und spöttisch lächeln würde.Wir versanken im Chaos, milde ausgedrückt und machten einfach weiter.

Ana kriegte ein Süssgetränk und verschüttete es in ihrer ausufernden Freude quasi komplett. Es klebte überall. Da kamen die Fliegen. Einen Tag später fiel mir eine Sirupflasche auf den Boden, schlimmer geht immer und sie zerbrach. Ich lachte hysterisch, jeglicher Reinigungsversuch weitete die klebrige Fläche nur aus. Die Fliegen blieben. Alles klebte überall fest.Wir wurden zu den Hauptdarstellern einer Slow- Motion- Szene und wurden von comic reifen Geräuschen untermalt.Die  Fliegen wurden fettleibig. Elle gab ihre Krabbelversuche unter diesen erschwerten Bedingungen komplett auf, leckte dafür aber sehr ausdauernd mit der Zunge den Boden ab.

Der Nordwind und die geschlossenen Campingplätze trieben uns schneller voran als geplant und eines morgens tauchte unser vorläufiges Ziel recht unerwartet und wunderschön vor uns auf. Der Ätna leuchtet schneeweiss.Eine kurze Fährfahrt später, welche wir auf windigem Deck verbrachten um die anderen Passagiere nicht mit unserem Reiseduft zu verstören, hatte Ernst alle vier Räder auf sizilianischem Boden.

Wir fielen auf den nächstbesten Campingplatz ein. Erschreckte Gesichter spähten aus modernen, blitzblanken Reisemobilen, als wir ziemlich erschöpft aber ausgesprochen gutgelaunt – begleitet von einem Schwarm Fliegen- den Platz eroberten. Als wir Berge von schmutzigem Geschirr, Dreck, Wäsche und uns selbst zu Tage förderten, hielt der ganze Platz die Luft an. Es folgte die wohl grösste und spektakulärste je gesehene Putzaktion auf einem von deutschen Rentnern besetzten Campingplatz. Es ist dem Mann seiner grossen Sozialkompetenz und ausgeprägter Kommunikationsfreude zu verdanken, dass beinahe keine Beschwerden bei uns ankamen. Er kriegte sogar einige freundliche Konversationen hin,  wo ihm deutsche Rentner mitteilten, dass dies der beste Platz auf Sizilien sei, weil es auf den anderen Plätzen nur deutsche Rentner habe.

Der ganze Platz winkte uns freudig nach, als wir nach zwei Tagen weiterfuhren und atmete laut aus.

 

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